Sportspiegel 115
„Wenn der Sportverein zu ist, dann mach mer‘ halt online Sport.“
Ein berühmter Satz in corona-triefenden Zeiten. Geht leicht von den Lippen. Dabei ist das „wir“ nur allegorisch, gemeint sind die Trainer, also ich, und schon erhöht sich meine Pulsfrequenz.
Nicht jede Sportart eignet sich zur Metamorphose in Bits und Bytes. Pilates eher gut. Wasserball eher schlecht. Tanzen ist so dazwischen. Es sollte nicht wie Rhythmische Sportgymnastik aussehen, damit noch ein Rest Soziales bleibt. Ist ja schließlich Gesellschaftstanz. Andererseits müßte es auf vier Quadratmeter begrenzt werden können, damit die Ellbogen nicht in die Glasvitrine geraten. Zusammen mit meiner Pulsfrequenz steigt auch die Hoffnung, daß es beim Online-Tanzen mehr aufs Tanzen als auf Online ankommt. Ich bin Tanzlehrer, kein Techniker. Ein Notebook habe ich. Und draußen wimmelt es von WLAN und Satelliten. Das muß doch in Einklang zu bringen sein. Doch schon nach drei Minuten wirft mir die Hardware den Fehdehandschuh hin. Die im Notebook eingebaute Webcam kennt nur zwei Einstellungen: Gürtel abwärts Füße und Gürtel aufwärts Köpfe. Auch die Software stellt sich quer und mir unlösbare Fragen, etwa ob ich die Schulversion oder die
Firmenversion installieren möchte. Und dann natürlich die allgemeine Netiquette: Wie legère darf ich vor die Kamera treten, ich bin ja immerhin daheim? Muß ich mir was anziehen?
Das Kameraproblem löse ich mit einer neuen Weitwinkel-Webcam, die soviel kostet wie zwei Monate Online-Unterricht. Nichts also, was meine Pulsfrequenz in irgendeiner Weise beruhigen könnte. Im Gegenteil: Nun ist zuviel Zimmerwand, darunter manche häßliche, sichtbar. Um das zu kaschieren, bemale ich ein Bettlaken mit den Rücken von berühmten Klassikerausgaben, dem blitzenden Gold von gewonnenen Pokalen und Danksagungen renommierter Kunden und spanne es im Hintergrund auf. Das schindet sicher mächtig Eindruck.
Schließlich ist alles startklar für das erste Meeting. Wir sind alle mehr als willens, in virtuelles Neuland einzutreten.
Elf Zuschaltungen stark, paarweise, glotzen wir uns gegenseitig in die Wohnzimmer. Wir freuen uns über das Wiedersehen, beglückwünschen uns zu etwaigen neuen Bäuchlein oder stellen fest, wer unbedingt zum Friseur gehen sollte. Mein Bettlaken rutscht herunter und entblößt eine häßliche Zimmerwand. Alle schweigen pietätvoll.
Wir beginnen mit den Lateintänzen, Körperbewegung in der Rumba, sehr detailliert und sehr stationär. Ich habe den Eindruck, nach Wochen der Enthaltsamkeit ist der Spaß und der Genuß, seine Hüften zu schwingen, fast greifbar auf dem Bildschirm. Dann widmen wir uns den Standardtänzen. Posen sind, weil platzsparend, für Pandemien besonders geeignet.
Natürlich läuft noch nicht alles rund. Manchmal stockt die Sprache oder friert das Bild ein. Manchmal gibt es auch einen winzigen Zeitversatz in der Musik, aufgrund der reziproken Triangulation im Satellitensignal, und jeder hat plötzlich seinen eigenen Takt. Oder es springt jemand unfreiwillig aus dem Bild. Mitten in meiner Erklärung der Pose schlendert unsere Katze ins Bild und fordert sofortige Nahrungsaufnahme.
Aber dennoch: Wir bewegen uns, können uns sehen, unternehmen etwas gemeinsam. Am Schluß der Stunde plappern alle durcheinander, wünschen sich gegenseitig Frohsinn und alles Gute. Freuen sich auf die nächste Stunde. Und ich bin froh, daß wieder ein Stückchen Normalität eingekehrt ist.
Hans Ehgartner
„Wenn der Sportverein zu ist, dann mach mer‘ halt online Sport.“
Ein berühmter Satz in corona-triefenden Zeiten. Geht leicht von den Lippen. Dabei ist das „wir“ nur allegorisch, gemeint sind die Trainer, also ich, und schon erhöht sich meine Pulsfrequenz.
Nicht jede Sportart eignet sich zur Metamorphose in Bits und Bytes. Pilates eher gut. Wasserball eher schlecht. Tanzen ist so dazwischen. Es sollte nicht wie Rhythmische Sportgymnastik aussehen, damit noch ein Rest Soziales bleibt. Ist ja schließlich Gesellschaftstanz. Andererseits müßte es auf vier Quadratmeter begrenzt werden können, damit die Ellbogen nicht in die Glasvitrine geraten. Zusammen mit meiner Pulsfrequenz steigt auch die Hoffnung, daß es beim Online-Tanzen mehr aufs Tanzen als auf Online ankommt. Ich bin Tanzlehrer, kein Techniker. Ein Notebook habe ich. Und draußen wimmelt es von WLAN und Satelliten. Das muß doch in Einklang zu bringen sein. Doch schon nach drei Minuten wirft mir die Hardware den Fehdehandschuh hin. Die im Notebook eingebaute Webcam kennt nur zwei Einstellungen: Gürtel abwärts Füße und Gürtel aufwärts Köpfe. Auch die Software stellt sich quer und mir unlösbare Fragen, etwa ob ich die Schulversion oder die
Firmenversion installieren möchte. Und dann natürlich die allgemeine Netiquette: Wie legère darf ich vor die Kamera treten, ich bin ja immerhin daheim? Muß ich mir was anziehen?
Das Kameraproblem löse ich mit einer neuen Weitwinkel-Webcam, die soviel kostet wie zwei Monate Online-Unterricht. Nichts also, was meine Pulsfrequenz in irgendeiner Weise beruhigen könnte. Im Gegenteil: Nun ist zuviel Zimmerwand, darunter manche häßliche, sichtbar. Um das zu kaschieren, bemale ich ein Bettlaken mit den Rücken von berühmten Klassikerausgaben, dem blitzenden Gold von gewonnenen Pokalen und Danksagungen renommierter Kunden und spanne es im Hintergrund auf. Das schindet sicher mächtig Eindruck.
Schließlich ist alles startklar für das erste Meeting. Wir sind alle mehr als willens, in virtuelles Neuland einzutreten.
Elf Zuschaltungen stark, paarweise, glotzen wir uns gegenseitig in die Wohnzimmer. Wir freuen uns über das Wiedersehen, beglückwünschen uns zu etwaigen neuen Bäuchlein oder stellen fest, wer unbedingt zum Friseur gehen sollte. Mein Bettlaken rutscht herunter und entblößt eine häßliche Zimmerwand. Alle schweigen pietätvoll.
Wir beginnen mit den Lateintänzen, Körperbewegung in der Rumba, sehr detailliert und sehr stationär. Ich habe den Eindruck, nach Wochen der Enthaltsamkeit ist der Spaß und der Genuß, seine Hüften zu schwingen, fast greifbar auf dem Bildschirm. Dann widmen wir uns den Standardtänzen. Posen sind, weil platzsparend, für Pandemien besonders geeignet.
Natürlich läuft noch nicht alles rund. Manchmal stockt die Sprache oder friert das Bild ein. Manchmal gibt es auch einen winzigen Zeitversatz in der Musik, aufgrund der reziproken Triangulation im Satellitensignal, und jeder hat plötzlich seinen eigenen Takt. Oder es springt jemand unfreiwillig aus dem Bild. Mitten in meiner Erklärung der Pose schlendert unsere Katze ins Bild und fordert sofortige Nahrungsaufnahme.
Aber dennoch: Wir bewegen uns, können uns sehen, unternehmen etwas gemeinsam. Am Schluß der Stunde plappern alle durcheinander, wünschen sich gegenseitig Frohsinn und alles Gute. Freuen sich auf die nächste Stunde. Und ich bin froh, daß wieder ein Stückchen Normalität eingekehrt ist.
Hans Ehgartner